André Duldhardt

– ameisoid

flaneur, sensor, interpretor | 1979

Die Kunst
zu Sehen

In der unaufhörlichen Bilderflut unserer Zeit sollte die Fotografie noch mehr zu einem Akt der bewussten Entscheidung werden. Die Street Photography, mit ihrer Tradition des präzisen Beobachtens, macht deutlich, wie ein scheinbar beiläufiger Moment visuelle Kraft entfalten kann. Es ist diese Spannung zwischen Zufall und Gestaltung, zwischen dem Flüchtigen und dem Bleibenden, die das Medium so faszinierend macht. Die Düsseldorfer Schule hat dabei gezeigt, wie konzeptuelle Strenge und technische Präzision zusammenwirken können, um neue Sichtweisen auf das Vertraute zu eröffnen. In dieser Tradition steht die systematische Auseinandersetzung mit dem fotografischen Bild, die mehr ist als bloße Dokumentation. Sie wird zur visuellen Forschung, die das Sichtbare befragt und das Unsichtbare andeutet. Dabei entstehen Bilder, die über den Moment ihrer Entstehung hinausweisen und zu Zeugnissen einer intensivierten Wahrnehmung werden.

Serien als Methode

Meine fotografische Arbeit bewegt sich in drei Feldern, die unterschiedliche Zugänge zur Wirklichkeit erkunden. Die Poetographie entwickelt eine eigene Bildsprache aus der Begegnung mit Oberflächen und Strukturen. Sie macht das Übersehene sichtbar und verwandelt alltägliche Texturen in Landschaften der Imagination. In Trash Art  wird der fotografische Blick zum Instrument der Transformation: Was als wertlos gilt, offenbart plötzlich seine ästhetische Dimension. Abfall wird zum Protagonisten einer visuellen Erzählung über unseren Umgang mit der materiellen Welt. Die dokumentarischen Arbeiten in Leben wiederum fangen jene unscheinbaren Momente ein, in denen sich gesellschaftliche Realität verdichtet. Sie zeigen den urbanen Alltag als Bühne kleiner Gesten und bedeutsamer Begegnungen.
Die serielle Arbeitsweise erlaubt dabei eine Vertiefung der jeweiligen Perspektive, ein visuelles Eindringen in die Substanz des Betrachteten. Was auf den ersten Blick beliebig erscheinen mag, enthüllt in der Wiederholung seinen spezifischen Charakter und seine verborgene Ordnung. Jede Serie wird so zu einem eigenständigen Kosmos, der seine eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt.

Handwerk und Haltung

Die ersten fotografischen Schritte unternahm ich mit der geerbten Kamera meines Vaters. Im Fotolabor unserer Schule lernte ich die handwerkliche Seite der analogen Fotografie kennen und lieben. Eine Zeit bei einem Düsseldorfer Fotografen vertiefte mein Verständnis für Mittel- und Großformatfotografie. Doch erst die philosophische Auseinandersetzung und später die kulturpädagogische Praxis öffneten den Blick für die wesentlichen Fragen: Was geschieht in jenem Moment, wenn ein Bild entsteht? Wodurch wird eine Aufnahme zu einem künstlerischen Werk? Im Sinne der sozialen Plastik verstehe ich Fotografie dabei als partizipativen Prozess, der über die individuelle künstlerische Aussage hinaus gesellschaftliche Resonanzräume schafft. Der Ameisoid ist aus dieser Suche entstanden – als offene Form, die zwischen achtsamer Beobachtung und künstlerischer Interpretation neue Wege erkundet. In meiner Arbeit verbindet sich dabei handwerkliches Gespür mit der Bereitschaft zum geduldigen Warten auf den richtigen Moment. Fotografie wird so zu einer Form des Sehens, die das Gewöhnliche in neuem Licht zeigt und vertraute Perspektiven hinterfragt.